Auf ihrer Dezember-Sitzung hat die EZB – anders als die FED – die Tür für Leitzinssenkungen nicht aufgemacht. Der Zinsgipfel sei zwar erreicht, auch weil die Prognosen für Konjunktur und Inflation weiter gesenkt wurden. Mit dem Verweis auf einen nach wie vor zu hohen Lohnkostendruck sowie die Notwendigkeit von anhaltend straffen Finanzierungskonditionen am Markt hat sie aber gleichzeitig deutliche Zeichen gegen rasche und umfangreiche Zinssenkungen gesetzt. Schwache Konjunkturdaten dürften diese Entschlossenheit in den kommenden Monaten allerdings einem Test unterziehen, meint Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz.
Auf ihrer heutigen Sitzung hat die EZB ihre Leitzinsen unverändert gehalten und einen insgesamt weniger taubenhaften Ton angeschlagen als die FED zuvor. Zwar hat sich der Ausblick für die Konjunktur auch aus Sicht des Rates weiter abgeschwächt. Die EZB zeigt sich aber weniger überzeugt als die FED, dass sich der Disinflationsprozess auch mit niedrigeren Leitzinsen in ausreichendem Tempo fortsetzen wird. Dabei hat sie vor allem auf den nach wie vor erheblichen Kostendruck durch die hohe Lohndynamik und die schwache Produktivität der Unternehmen und die Notwendigkeit von anhaltend straffen Finanzierungskonditionen am Markt hingewiesen, ein zentraler Unterschied zum Bild der FED. Ein weiteres Zeichen gegen rasche und umfangreiche Lockerungen der Geldpolitik im Euro-Raum hat die EZB mit der Beschleunigung ihrer Bilanzreduktion gesetzt. So soll das Abschmelzen der PEPP-Anleihenbestände (Tapering) nun nicht zum Jahresstart 2025, sondern bereits ab Mitte 2024 beginnen, wenn auch in sehr moderatem Tempo von 7,5 Mrd. Euro pro Monat.
Die EZB sieht den Zeitpunkt für den Beginn von Zinssenkungen also in weiterer Ferne als die FED. Dabei liegen Leitzins und Finanzierungskosten für die Privatwirtschaft in Europa deutlicher über den von uns als „neutral“ eingeschätzten Niveaus und wirken durch den spürbaren Rückgang von Inflation und Inflationserwartungen zunehmend bremsend auf die bereits angeschlagene Konjunktur. Mit weiteren Kollateralschäden in zinssensitiven und zyklischen Bereichen der Wirtschaft muss deshalb weiter gerechnet werden. Ob die EZB mit Blick auf den Beginn von geldpolitischen Lockerungen tatsächlich der FED den Vortritt lassen kann, bleibt aber abzuwarten. Die derzeitigen Aussichten für Konjunktur und Preisentwicklung wie auch die strukturellen und institutionellen Schwachstellen im Euro-Raum sprechen dagegen. Für Investoren ist diese Sequenz zwar relevant. Der Aufbau von Duration in Europa bleibt aber in beiden Fällen interessant, da US-Zinssenkungen erheblich auch auf den europäischen Markt ausstrahlen dürften.