Das Jahr 2024 wird durch politische Umwälzungen in den USA und Deutschland sowie der eingeläuteten Zinssenkungspolitik dies- und jenseits des Atlantiks in Erinnerung bleiben. Die Aktienmärkte haussierten und standen erneut im Zeichen der Digitalisierung und der „Magnificent Seven“ genannten Technologieriesen, die in Erwartung weiterer Gewinnsteigerungen massiv in KI investierten. In der Folge gab es immer wieder neue Allzeithochs des S&P 500 und MSCI World-Index, auch ein Zeichen einer enorm gestiegenen Konzentration der Technologietitel in diesen Indizes.

Anleiheinvestoren können auf ein gutes Jahr zurückblicken: Zinssenkungen und zusammenlaufende Risikoprämien bescherten ihnen neben ordentlichen Kupons auch attraktive Kursgewinne. Anleihen sind zurück und können insbesondere in der Allokation von Mischfonds wieder für stabile Erträge und Diversifikation sorgen.

Unser 20-jähriges Firmenjubiläum im vergangenen Jahr ist ein guter Anlass für einen umfassenderen Blick zurück auf die Anfangsjahre und auf die Veränderungen, die sich in dieser Zeit zugetragen haben. Und für die unvermeidliche Frage: Was haben wir daraus gelernt? In meinem persönlichen Rückblick lassen sich einige Beobachtungen herausdestillieren, die ich an dieser Stelle festhalten möchte:

Chinas Aufstieg beginnt, aber...

Als wir vor 20 Jahren angefangen haben, waren Technologieaktien deutlich aus der Mode. Als zukunftsträchtig galten die Emerging Markets und insbesondere China. 2001 hatte der Goldman Sachs-Stratege Jim O‘Neill das Akronym BRICs geprägt.

„ Anleger sollten in Ländern investieren, in denen die Marktwirtschaft noch etwas gilt. Autoritäre Regimes meinen es mit Aktionären selten gut.“

Dr. Georg von Wallwitz

Seine These lautete, dass die wirtschaftliche Zukunft der Welt von Brasilien, Russland, Indien und China geprägt sein würde. Das Argument hieß bald, man müsse dort investieren, wo das Wachstum ist, und so ignorierte man die jahrzehntealte Erkenntnis, wonach Wirtschaftswachstum und Aktienmarktperformance nicht miteinander korrelieren.

Die chinesischen Aktienmärkte sind in den letzten beiden Jahrzehnten kaum besser gelaufen als die europäischen, obwohl Chinas Volkswirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten weit höhere Wachstumsraten hatte. Und angesichts politisch gewollter Überkapazitäten, zum Beispiel im Bereich Elektromobilität, sollten Anleger auch in Zukunft nicht naiv sein und goldene Jahre für chinesische Aktien erwarten, sondern lieber in Ländern investieren, in denen die Marktwirtschaft noch etwas gilt. Autoritäre Regimes meinen es mit Aktionären selten gut.

Jedenfalls ist richtig, dass insbesondere der Aufstieg Chinas die Weltwirtschaft gründlich verändert hat, vor allem seit seinem Beitritt zur WTO im Jahr 2001. Dieser Aufstieg ging im Wesentlichen zu Lasten von Europas Anteil an der Weltwirtschaft.

Seit 1980 stieg der Anteil Chinas an der Weltwirtschaft von 2% auf 19%


Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) am Welt-BIP in %
Wertentwicklung in den Schwellenländern ernüchternd

Verschuldung als Problem

Das bringt mich zum zweiten Thema: Staatsverschuldung. Vor 20 Jahren betrugen die amerikanischen Staatsschulden ungefähr 3 Billionen US-Dollar, was etwa einem Drittel der damaligen jährlichen Wirtschaftsleistung entsprach. Heute steht die Staatsschuld bei 36 Billionen US-Dollar bzw. 124% der Wirtschaftsleistung. Und beide Parteien in den USA sind sich einig, dass das ewig so weitergehen kann. Aber das muss nicht so sein. In den Worten von US-Ökonom Herbert Stein ausgedrückt: „If something can‘t go on forever, it will stop. But it will go on for a lot longer than you anticipate.”

Auch die Nullzinsphase der vergangenen Jahre stand mit der Ausweitung der allgemeinen Schuldenberge in engem Zusammenhang. Die billigen Schulden führten in vielen Ländern zu einer hohen Bewertung bei realen Vermögenswerten (z.B. Immobilien) und solchen Assets, deren Erträge weit in der Zukunft liegen. Der inflationäre Schub der Jahre 2021-23 hat diesen Bewertungen, aber auch der Leichtigkeit im Umgang mit Schulden ein Ende bereitet.

Die Schulden im Euro-Raum sind nicht mehr das größte Problem

Staatsverschuldung als Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in %

„ Der hohe Stellenwert des Datenschutzes in der EU hat dazu geführt, dass ein guter Teil der digitalen Revolution in den USA und China stattgefunden hat, wo Datenverarbeitung weniger misstrauisch beäugt wird. "

Dr. Georg von Wallwitz

Europa wird abgehängt

Vor 20 Jahren lagen die USA und Europa in vielerlei Hinsicht gleichauf. Die Produktivität der Europäer hatte zur Jahrtausendwende das Niveau der Amerikaner erreicht. Die Wirtschaftsleistung war ebenfalls ähnlich hoch. Aber spätestens nach der Finanzkrise ging die Schere auseinander. Die Produktivität hielt nicht mehr Schritt, die Wirtschaftsleistung ebenfalls nicht. Und auch an den Aktienmärkten lief die Entwicklung nicht mehr parallel.

Die Ursachen sind vielfältig. Die Einführung des Euros hat viel Flexibilität gekostet, aber dennoch nicht zu einer Finanzmarktunion geführt. Der hohe Stellenwert des Datenschutzes in der EU hat dazu geführt, dass ein guter Teil der digitalen Revolution in den USA und China stattgefunden hat, wo Datenverarbeitung weniger misstrauisch beäugt wird. Die schwache Innovationskraft hat sich in einem spürbar geringeren Produktivitätswachstum niedergeschlagen. Und schließlich ist der Branchenmix in Europa nicht unbedingt zukunftsträchtig. Im Gegenteil, er ist heute erheblichem Wettbewerbsdruck aus Asien ausgesetzt.

Die Divergenz ist am Ende also dem in den USA blühenden Technologiesektor geschuldet, was die Aktienmärkte unverkennbar widerspiegeln. Der NASDAQ 100 als Beispiel hat sich in den letzten 20 Jahren beinahe verzehnfacht.

Seit der Finanzkrise entwickelt sich Europa deutlich schlechter als die USA

Der Euro-Raum hat wirtschaftlich den Anschluss verloren

Bruttoinlandsprodukt in Mrd. USD

Europa ist auch am Finanzmarkt abgehängt

S&P 500 und EURO STOXX 50, Total Return, in USD, Jan 1995 = 100

Vor 20 Jahren hat das kaum jemand in Europa gesehen oder sehen wollen. Als Vermögensverwalter musste ich mich oft erklären, warum wir so viele amerikanische Aktien in den Portfolios halten. Der DAX-Index und der EURO STOXX 50 waren die Benchmarks, die es zu schlagen galt und der US-Dollar war nach Möglichkeit zu hedgen. Der MSCI World-Index war auch bei institutionellen Anlegern keine weit verbreitete Benchmark. Und die vielleicht am häufigsten gestellte Frage war, warum Amazon so ein hohes KGV hat.

 

Wichtig waren (und sind) die Game Changer

Neben diesen bedeutenden Entwicklungen gab es zahlreiche Ereignisse, die die Situation grundlegend verändert haben. Es ist davon auszugehen, dass der Durchbruch der Künstlichen Intelligenz unser Leben mindestens so stark verändert, wie seinerzeit beispielsweise die Einführung des iPhones. Die anderen Ereignisse, die den Lauf der Geschichte seit der Gründung unserer Firma nachhaltig verändert haben, waren die Finanzkrise 2008/09, die Eurokrise 2011/12 oder die Nuklearkatastrophe von Fukushima, wodurch das Geschäftsmodell der deutschen Versorger hinfällig wurde. Auch die Coronakrise und der Ukrainekrieg waren einschneidende Wendepunkte, die das (alltägliche) Leben grundsätzlich verändert haben. Dass die Liste der Krisen länger ist als die der guten Nachrichten, merkt man in vielen Ländern nicht nur den Finanzmärkten, sondern auch der politischen Landschaft an.

Wichtig ist: Es gibt immer wieder die besonderen Game Changer. Wer sie rechtzeitig erkennt und richtig einordnet, kann viel Geld verdienen. Aber die Game Changer gibt es sehr viel seltener, als es viele Medien, die um Aufmerksamkeit kämpfen müssen, suggerieren. Anders formuliert: unsere Aufgabe als Vermögensverwalter ist es die „Signale“ (oder Game Changer) von dem täglichen „Rauschen“ zu unterscheiden.

 

Der Aufstieg der ETFs

Neben den dargestellten Entwicklungen an den Kapitalmärkten war unsere Branche in den vergangenen 20 Jahren weiterhin gekennzeichnet vom scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der ETFs. Das ist die Veränderung, die die Wenigsten in der Branche mögen. Denn nicht nur das Neugeschäft und damit letztlich das verwaltete Volumen, sondern auch die Margen sind dadurch erheblich unter Druck gekommen. Für viele Vermögensverwalter war es vor 20 Jahren noch genug, sich an den Index zu „hängen“ und so zu tun, als würden sie aktiv managen. Dem haben die Indexfonds ein Ende bereitet. Es sind eine Reihe schlechter Fonds und Manager verschwunden, die „Closet-Indexers“, und es ist nicht schade um sie.

Die Argumente für hochqualitatives aktives Asset Management bleiben bestehen

ETF-Bestände von in der EU, in Großbritannien und in den USA ansässigen Finanzunternehmen in Mrd. USD

Es gibt aber drei Gründe, warum es nicht reiner Zweckoptimismus ist, an das Weiterbestehen des aktiven Managements zu glauben:

Erstens wird es immer Anleger geben, die verstehen möchten, aus welchem Grund bestimmte Wertpapiere in ihrem Fonds oder Depot enthalten sind. Diese Anleger wollen die Welt verstehen, die in ihren Investitionen abgebildet wird.

Zweitens wird heute mit ETFs viel Schindluder getrieben. So gibt es vielfach intransparente ETFs, die nichts anderes als eher schlecht gemanagte Fonds im Kleid von ETFs sind. Oder es finden sich die sogenannten „Defined Outcome ETFs“, die Optionen in das Kleid von ETFs aufnehmen, wobei wie einst in gewissen Teilen des Zertifikate-Markts klar ist, dass am Ende die Kunden die Verlierer sind.

Drittens machen viele Anleger heute mit ETFs dieselben Fehler wie früher mit Einzelaktien: Sie neigen dazu, erfolgreiche ETFs zu kaufen, und orientieren sich somit an den Marktbewegungen der letzten drei bis fünf Jahre, Trends und den Empfehlungen der ETF-Anbieter. Wie bei jedem „Crowded Trade“ wird auch hier gelten: Wenn alle nach der Mode investiert haben, ist es teuer und die Rendite in den nächsten Jahren wird schwach. Das einfache Rezept, nach dem man ohne viel nachzudenken sorglos ein Vermögen macht, wurde von der Branche schon sehr oft versprochen. Heute liegt das Problem darin, dass durch den ETF-Boom ein zentrales Anreizsystem am Finanzmarkt seine Signalwirkung verliert. Demnach sollten gerade Unternehmen mit einer hohen und steigenden Renditeerwartung an günstiges Kapital kommen, unabhängig von ihrer Größe. Demgegenüber sollten Unternehmen mit nachlassender Innovationskraft und geringeren Renditeerwartungen höhere Kapitalkosten zahlen. Das Schumpeter-Prinzip der kreativen Innovation bzw. Zerstörung als Kraft im Wirtschaftsprozess wird umgangen oder sogar in sein Gegenteil verkehrt. Damit steigt das Korrekturpotenzial. Dies eröffnet Chancen außerhalb dieser Titel über eine aktive Vermögensverwaltung.

Und nun? Für mich als Portfoliomanager gilt neben der Erkenntnis, was in den vergangenen zwei Jahrzehnten für die Kapitalmärkte entscheidend war, stets den Blick nach vorne gerichtet zu halten und die entsprechenden Lehren daraus zu ziehen.

 

Worauf es letztlich ankommt

Marktwirtschaft

Kurz gesagt: Investiere in Länder, in denen die Marktwirtschaft noch etwas gilt. In den USA mag die politische Klasse paralysiert sein, aber die Marktwirtschaft funktioniert und die Aktienmärkte danken es mit einer hervorragenden Wertentwicklung. China hingegen ist kaum besser gelaufen als Europa, obwohl es in den vergangenen Jahrzehnten viel höhere Wachstumsraten hatte. Und in Europa ist der Aktienmarkt der Schweiz, wo die wirtschaftliche (und politische) Freiheit höher geschätzt wird als in Brüssel, erheblich besser gelaufen als der EURO STOXX 50.

 

Geschäftsmodelle

Kaufe Aktien von Unternehmen, die ein gutes Geschäftsmodell und einen langfristigen Wettbewerbsvorteil haben. Selbst Unternehmen wie Nestlé oder Coca-Cola lohnen sich nur, wenn sie auch „billig“ sind. Der Gewinn liegt im Einkauf. Und Anleihen lohnen sich nur, wenn die Realzinsen hoch und die Risikoaufschläge auskömmlich sind. Das ist alles nicht besonders originell, aber in der Praxis selten leicht zu durchschauen. Weshalb gilt: Die Vermögensverwaltung ist einfach – aber nicht leicht.

Wohlstand durch ein funktionierendes Rechtssystem, wenig Regulierung und niedrige Steuern

Indizes im Vergleich

Kurs in Euro, Total Return Indices (Juli 2007 = 100)

Politische Börsen haben kurze Beine

Politische und konjunkturelle Entwicklungen, auch wenn sehr viel über sie geredet wird, spielen kaum eine Rolle (im Unterschied zu langfristigen gesellschaftlichen Veränderungen), wenn es um die langfristige Kapitalanlage geht. Zinsen und Konjunktur sind schwer vorhersehbar und politische Ereignisse wirken sich nur temporär auf die Börsen aus. Es ist schwierig genug, die Gegenwart zu verstehen. Prognosen machen sicherlich Spaß, aber ihr Unterhaltungswert ist höher als ihr Informationsgehalt.

 

Risikomanagement

Wenn es eine Faustregel für das Risikomanagement gibt, so ist es die Beobachtung, dass die Erweiterung der Kompetenzen (z.B. von 80%-Wissen auf 90%-Wissen) oft kein gutes Aufwand-Ertrags-Verhältnis aufweist. Sehr viel klüger ist es, die eigenen Grenzen der Kompetenz abzustecken und zu kennen. Als Investor sollte man stets bestrebt sein den eigenen Kompetenzbereich zu erweitern, ohne ihn jedoch zu verlassen.

Risikomanagement hat viel mit Psychologie und Erfahrung zu tun. Die Märkte tendieren immer wieder zu Übertreibungen, nach unten wie nach oben, und die Menschen sind oft stark in ihren Überzeugungen verwurzelt. Risikomanagement ist etwas für Skeptiker, welche die aktuellen Überzeugungen hinterfragen. Damit ist es der interessanteste Teil der Vermögensverwaltung. Wenn man nur in Bullenmärkten für sein Risikomanagement nicht immer so gescholten würde.

„ Zinsen und Konjunktur sind schwer vorhersehbar und politische Ereignisse wirken sich nur temporär auf die Börsen aus. Es ist schwierig genug, die Gegenwart zu verstehen. Prognosen machen sicherlich Spaß, aber ihr Unterhaltungswert ist höher als ihr Informationsgehalt.“

Dr. Georg von Wallwitz
Keine ewigen Wahrheiten

Es gibt keine ewigen Wahrheiten. Was vor Kurzem noch als Klassiker galt (wie Buchwert, Tobin-Q, Schuldenquote, Markowitz, Small Cap und Value) interessiert bald schon niemanden mehr. Was heute als unumstößliche Wahrheit gilt, dürfte in zehn Jahren ein alter Hut sein. Es werden neue Instrumente, neue Trends und neue „ewige Wahrheiten“ entstehen.

Mein Fazit

Es gibt nichts, worauf Sie sich bei Anlageentscheidungen am Ende wirklich verlassen können. Man kommt um die Unsicherheit nicht herum, auch wenn man in seinem Kompetenzbereich bleibt. Wie im wahren Leben gibt es keine finalen Sicherheiten. Das kann sehr frustrierend sein. Aber das ist es andererseits, was diesen Beruf so abwechslungsreich und oft sehr spannend macht. Es macht die Vermögensverwaltung zu einer sehr kommunikativen Tätigkeit, die immer wieder neu und interessant ist und die mir auch nach 20 Jahren noch große Freude bereitet. Nicht zuletzt dank unserer großartigen Mitarbeiter und Kunden.

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